Professionsbild Physiotherapie
Physiotherapeut:innen sind Expert:innen für Bewegungsverhalten, motorische Entwicklung, körperliche Aktivität, Körperfunktion, Leistungsfähigkeit und Schmerzen. Sie unterstützen Patient:innen dabei, eine bestmögliche Lebensqualität zu erlangen oder zu erhalten.
Broschüre «Professionsbild Physiotherapie»
Das aktualisierte Professionsbild der Physiotherapie in der Schweiz zeigt eindrücklich, wie vielseitig und wirkungsvoll
dieser Beruf ist. Es beschreibt nicht nur die Profession als solche, sondern beleuchtet auch die verschiedenen Kompetenzen und die vielfältigen Rollen,
die Physiotherapeut:innen täglich ausfüllen – sei es in der klinischen Praxis, in der Lehre, in der Forschung oder im Gesundheitsmanagement.
Untenstehend finden Sie zudem weitere aktualisierte Inhalte zum Professionsbild.
Die Profession Physiotherapeut:in
Physiotherapie wirkt – in allen Lebensphasen und bei unterschiedlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen. Ein Arbeitskollege hat sich beim Fussball spielen das Kreuzband gerissen? Eine betagte Nachbarin klagt über Schwindel und hat Angst, beim Gehen zu stürzen? Ein Cousin leidet an hartnäckigen Rückenschmerzen? In all diesen Fällen ist Physiotherapie Teil der Lösung. Als nicht-operative Behandlungsform ist diese eine wirksame Ergänzung oder Alternative zu verschiedenen Operationen und Medikamenten. Die Physiotherapie ist deshalb ein unverzichtbarer und systemrelevanter Pfeiler der Gesundheitsversorgung.
Physiotherapeut:innen verfügen über umfassende Fachkenntnisse in Anatomie, Physiologie und Pathologie, sowie fundierte praktische Kompetenzen. Durch die Anwendung evidenzbasierter Methoden entwickeln sie individuell abgestimmte Therapiepläne und setzen diese in die Praxis um. Sie sind Expert:innen für Bewegung. Dies beinhaltet motorische Entwicklung, körperliche Aktivität, Körperfunktion, Leistungsfähigkeit und Schmerzen.
Physiotherapeut:innen untersuchen, behandeln, beraten und begleiten Menschen in allen Lebensphasen, insbesondere mit angeborenen, akuten oder chronischen Erkrankungen, nach Verletzungen, vor und nach Operationen, mit Beschwerden und/oder Beeinträchtigungen. Sie verfolgen gemeinsam mit den betroffenen Personen (und ihrem Umfeld) das Ziel, eine bestmögliche Lebensqualität zu erlangen oder zu erhalten. Dies erreichen sie, indem sie Beschwerden lindern und Menschen unterstützen, ihre Funktionsfähigkeiten (z. B. Atmen, Gleichgewicht halten, Treppen steigen, Arbeiten, Sport treiben) zu verbessern oder zu bewahren. Durch Förderung des Selbstmanagements und Stärkung der Eigenverantwortung befähigen sie die betroffenen Personen, mit den vorhandenen Ressourcen so beschwerdefrei, selbständig und unabhängig wie möglich am Alltag teilzuhaben.
Physiotherapeut:innen arbeiten interprofessionell mit Ärztinnen, Pflegefachpersonen sowie weiteren Fachpersonen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, der Pädagogik oder dem Sportbereich zusammen.
Physiotherapeut:innen sind in der Therapie, Rehabilitation, der Palliativversorgung sowie in der Prävention und Gesundheitsförderung tätig. Sie arbeiten in verschiedenen Fachbereichen und sind in unterschiedlichen Arbeitsfeldern tätig, wie die folgende Tabelle zeigt.

Eine Karriere als Physiotherapeut:in startet mit einer fundierten Ausbildung. Der Bachelor of Science (BSc) in Physiotherapie bildet die Basis für den Berufseinstieg. Das Wissen lässt sich vertiefen mit einem Master of Science (MSc) oder einem Doktorat (PhD).
Nach der Grundausbildung stehen Physiotherapeut:innen vielfältige Karrieremöglichkeiten offen:
- Fachkarriere
- Bildungskarriere
- Führungskarriere
- Unternehmertum
- Forschungskarriere
- Qualitätsmanagement
- Professionsentwicklung
- Berufspolitik
- Expert:innen Gesundheitsförderung und Prävention
Impressionen
Ablauf einer Behandlung
Im physiotherapeutischen Prozess werden Patient:innen mittels eines klar strukturierten
Vorgehens Schritt für Schritt begleitet – von der ersten Begegnung bis zum erfolgreichen
Abschluss der Behandlung.
Um eine physiotherapeutische Diagnose zu stellen, sammeln, verknüpfen und interpretieren
Physiotherapeut:innen Informationen aus der Anamnese, der Untersuchung und aus spezifischen Tests. Darauf aufbauend planen sie die Intervention gemeinsam mit den Patient:
innen – stets unter Berücksichtigung ethischer Überlegungen – und passen
diese bei Bedarf an. Dieser Prozess wird auch Clinical Reasoning genannt. Der Ablauf ist
dynamisch und kontinuierlich, Veränderungen werden laufend berücksichtigt, und die
Behandlung orientiert sich stets am aktuellen Stand von Gesundheit, Lebenssituation
und wissenschaftlicher Evidenz.
Folgende Abbildung zeigt die verschiedenen Phasen dieses physiotherapeutischen Prozesses.

Die Phasen des physiotherapeutischen Prozesses
Zu Beginn jeder Behandlung führen Physiotherapeut:innen eine strukturierte Befragung (Anamnese) durch, basierend auf den Informationen der ärztlichen Verordnung. Bei der Anamnese werden Informationen erfragt, die den Physiotherapeut:innen helfen, die Situation der Patient:innen zu verstehen. Sie beinhaltet unter anderem eine Beschreibung der aktuellen Beschwerden, die medizinische und familiäre Vorgeschichte, den Lebensstil, Medikamenteneinnahme sowie psychosoziale Faktoren wie beispielsweise Selbstvertrauen, berufliche Belastungen oder Unterstützung durch Freunde und Familie. Diese Informationen sind wichtig, um Hypothesen für die Entstehung der Beschwerden zu bilden und die nachfolgende Untersuchung und Interventionen gezielt zu planen.
Anschliessend führen Physiotherapeut:innen eine umfassende Untersuchung und verschiedene standardisierte Tests (Assessments) durch. Bei der physiotherapeutischen Untersuchung werden Haltung und Bewegung sowie mögliche Hautveränderungen und Schwellungen betrachtet (Inspektion), Strukturen gezielt ertastet (Palpation) und verschiedene Funktions- und Bewegungstests durchgeführt.
Standardisierte Assessments sind Tests, welche spezifisch für eine bestimmte Patient:innengruppe oder eine Fragestellung entwickelt und wissenschaftlich überprüft wurden. Beispiele hierfür sind die Messung der Muskelkraft, der Beweglichkeit eines Gelenks, des Atemvolumens oder einer bestimmten Funktion, wie zum Beispiel das Aufstehen aus einem Stuhl. Zu den standardisierten Assessments gehören auch Fragebogen, welche die Auswirkung von Beschwerden auf verschiedene Aktivitäten oder auf die Lebensqualität erfassen. Diese Tests erlauben eine objektive, zuverlässige und wiederholbare Erhebung des Zustands der Patient:innen.
Basierend auf den Informationen der Anamnese, der Untersuchung und den durchgeführten Tests wird eine physiotherapeutische Diagnose gestellt. Ziel dieser Diagnose ist es, die Art und Ursache von Beschwerden oder Einschränkungen zu ermitteln, um eine gezielte Intervention zu planen. Dabei orientieren sich Physiotherapeut:innen am biopsychosozialen Ansatz, welcher von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erarbeitet wurde: der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health, ICF). Die ICF umfasst Körperstrukturen, Körperfunktionen, Aktivität und Teilhabe (Partizipation). Zusätzlich werden Umweltfaktoren sowie personenbezogene Faktoren berücksichtigt. Somit hilft dieser Ansatz, die Auswirkungen von Gesundheitsproblemen auf das tägliche Leben besser zu verstehen und dient in der Physiotherapie als wichtiges Werkzeug für die Planung von Therapie- und Rehabilitationsmassnahmen. In der folgenden Abbildung ist die ICF am Beispiel einer Person mit Kniearthrose beschrieben.

Im Anschluss an die physiotherapeutische Diagnose definieren Physiotherapeut:innen gemeinsam mit den Patient:innen und eventuellen Bezugspersonen individuelle Therapieziele und Verlaufszeichen. Mögliche Verlaufszeichen können beispielsweise das Ausmass der Gelenkbeweglichkeit, die Muskelkraft oder der empfundene Schmerz sein. Verlaufszeichen werden regelmässig gemessen und helfen, den Fortschritt einer Physiotherapie zu überprüfen und bei Bedarf die therapeutische Intervention anzupassen.
Die nachfolgende Behandlungsplanung erfolgt nach dem Ansatz der evidenzbasierten Praxis. Dies bedeutet, dass die physiotherapeutische Behandlung auf den neusten Forschungserkenntnissen, der individuellen klinischen Expertise der Physiotherapeut:innen sowie den Werten und Wünschen der Patient:innen basiert.
Die patientenzentrierte Intervention wird anhand der physiotherapeutischen Diagnose, dem Therapieziel und den Ressourcen der Patient:innen bestimmt. Die Intervention umfasst evidenzbasierte Beratung, Behandlung und Instruktion. Behandlungen können aktive Massnahmen (z.B. Bewegungstherapie und Training, Atemtherapie, Wahrnehmungsschulung) oder passive Massnahmen (z.B. manuelle Therapie) umfassen. Physikalische und technologieassistierte Massnahmen (z.B. Robotik, Apps) können unterstützend beigezogen werden. Die Interventionen finden in Einzel- oder Gruppensettings statt.
Wichtig für den Genesungsprozess ist es, das Selbstmanagement der Patient:innen zu fördern. Um einen nachhaltigen Therapieerfolg zu erreichen, ist es essenziell, dass die Patient:innen Strategien erlernen, welche sie ausserhalb des Therapiekontextes anwenden können. Bei Bedarf werden auch Angehörige oder Bezugspersonen in den Behandlungsprozess eingebunden.
Bei jeder Therapieeinheit überprüfen Physiotherapeut:innen die Verlaufszeichen und Therapieziele. Somit können sie beurteilen, ob die gewählten Interventionen die gewünschte Wirkung erzielen oder ob die einzelnen Massnahmen und Dosierung angepasst werden müssen.
Sind die Therapieziele erreicht oder ist keine weitere Physiotherapie indiziert, wird die Therapie abgeschlossen. In der letzten Sitzung werden Massnahmen zur Erhaltung des Therapieerfolges und zur Prävention eines Rückfalls besprochen sowie die Therapie evaluiert.
Während des gesamten Therapieprozesses gewährleisten Physiotherapeut:innen die schriftliche Dokumentation. Diese umfasst die Befragung, die Untersuchung, die durchgeführte Intervention und deren Auswirkungen auf die relevanten Verlaufszeichen und Therapieziele. Mit der Dokumentation stellen Physiotherapeut:innen die Nachvollziehbarkeit gegenüber Patient:innen, anderen Berufsgruppen und Kostenträgern sicher. Falls indiziert, erstellen Physiotherapeut:innen Zwischen- und Abschlussberichte.
Um eine optimale Gesundheitsversorgung sicherzustellen, bringen Physiotherapeut:innen ihre physiotherapeutische Expertise in interprofessionelle Teams ein. So wird die interprofessionelle Zusammenarbeit gestärkt.
Einbettung ins Gesundheitswesen
Im Schweizer Gesundheitswesen gibt es viele rechtliche Bestimmungen zur Physiotherapie. In Bezug auf die Physiotherapie stellen sich beispielsweise folgende Fragen:
Physiotherapeut:innen sind von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) anerkannte Leistungserbringer:innen. Die Leistungen der Physiotherapeut:innen unterstehen dem Krankenversicherungsgesetz (KVG) und müssen die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen (WZW-Kriterien, Art. 32 KVG). Bei Unfällen unterliegen physiotherapeutische Leistungen dem Unfallversicherungsgesetz (UVG), bei Invalidität dem Invalidengesetz (IVG) und bei Ereignissen im Militär dem Militärversicherungsgesetz (MVG).
Damit die Leistungen der Physiotherapie von der OKP übernommen werden, ist eine ärztliche Verordnung nötig. Diese Verordnung enthält die ärztliche Diagnose, Nebendiagnosen, eventuelle Vorsichtsmassnahmen und das Behandlungsziel. Die Physiotherapeut:innen können die physiotherapeutischen Interventionen eigenverantwortlich bestimmen.
In den meisten Kantonen ist eine physiotherapeutische Behandlung auch ohne ärztliche Verordnung möglich (Selbstzuweisung). Die Patient:innen kommen direkt in die Physiotherapie, ohne zuerst eine Ärztin bzw. einen Arzt aufgesucht zu haben. In diesem Fall sind die Leistungen nicht durch die obligatorische Krankenversicherung gedeckt.
In einem Spital oder einer Rehabilitationsklinik (stationärer Bereich) geschieht die Abrechnung der Physiotherapie über eine Fall- respektive Tagespauschale. Im ambulanten Bereich (z.B. Physiotherapiepraxis) erfolgt die Abrechnung über Tarife, die entweder auf Pauschalen oder Einzelleistungspositionen beruhen können. Physiotherapeut:innen können die Preise somit nicht selbst bestimmen.
Bevor Physiotherapeut:innen ihren Beruf ausüben dürfen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Anerkennung der Ausbildung durch das Schweizerische Rote Kreuz (SRK)
- Für die Leistungsabrechnung über die Versicherungen ist eine sogenannte Zahlstellenregisternummer (ZSR-Nr.) nötig. Ausstellerin ist die SASIS AG.
- Bei Selbständigkeit wird eine Berufsausübungsbewilligung sowie eine Zulassung zur Abrechnung zulasten der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) benötigt. Beide Dokumente können bei der jeweiligen kantonalen Gesundheitsdirektion beantragt werden. Neben den Grundvoraussetzungen gibt es je nach Kanton weitere Vorgaben zu erfüllen.
Physiotherapeut:innen die ihre Ausbildung im Ausland absolviert haben, müssen ihr Diplom in der Schweiz anerkennen lassen. Das SRK ist die zuständige Stelle dafür und prüft im Rahmen einer Einzelfallprüfung, ob das im Ausland erworbene Diplom in der Schweiz anerkannt werden kann. Fällt dieser Entscheid positiv aus, vergleicht das SRK das Diplom mit dem in der Schweiz berufsbefähigenden Bachelor-Abschluss. Werden dabei Unterschiede festgestellt, kann das SRK Ausgleichsmassnahmen verordnen.
Die Daten zu den Gesundheitsfachpersonen werden im Gesundheitsberuferegister (GesReg) erfasst, welches für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Alle in der Schweiz anerkannten Physiotherapeut:innen sind folglich im nationalen GesReg registriert.
