Grundlagen zur Preisgestaltung für ambulante Leistungen im KVG-Bereich
Was sind Taxpunkte und welche physiotherapeutischen Leistungen werden vergütet? Und weshalb dürfen bei einer neuen Tarifstruktur keine Mehrkosten anfallen? Erfahren Sie hier alles über die Grundlagen zur Preisgestaltung für ambulante Leistungen im KVG-Bereich (Bundesgesetz über die Krankenversicherung).
Einleitung
Leistungserbringer (in diesem Fall Physiotherapeut:innen) können den Preis für die Leistungen, die im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung erbracht werden, nicht selbst festlegen.
Die Preise sind in entsprechenden Tarifverträgen verbindlich festgehalten (Art. 43 KVG). Für die Preis-Bestimmung sind zwei Faktoren ausschlaggebend:
- die Taxpunktmenge, die einer Leistung zugewiesen wird
- der entsprechende Wert des Taxpunktes, also der Taxpunktwert
Soll der Preis einer physiotherapeutischen Leistung angepasst werden, wird der Taxpunktwert entsprechend angepasst und nicht die Taxpunktmenge. Stichwort: Kostenneutralität.
Grundlagen
Um das geht’s
Der Preis einer physiotherapeutischen Leistung wird über zwei Faktoren bestimmt: Die Tarifstruktur und den Taxpunktwert. Dabei legt die Tarifstruktur die einzelnen Leistungen fest und regelt deren Anwendung. Zudem weist sie jeder Leistung eine Taxpunktmenge zu und gewichtet somit die verschiedenen Leistungen innerhalb der Tarifstruktur. Der Wert eines Taxpunktes wird über Taxpunktwertvereinbarungen festgehalten. Wird die Taxpunktmenge gemäss Tarifstruktur mit dem Taxpunktwert multipliziert erhält man den Preis einer Leistung.
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Rechnungsbeispiel:
48 Einzelsitzungspauschale (Taxpunktmenge) x 1,03 (Durchschnittlicher Taxpunktwert) = 49.44 (Preis der Leistung)
Um das geht’s
Einzelbehandlungen oder Gruppentherapie, interprofessioneller Austausch mit anderen Leistungserbringern oder das Erstellen eines Trainingsplans für Patient:innen können als physiotherapeutische Leistung definiert werden. Nur physiotherapeutische Leistungen werden gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) im Rahmen der Physiotherapie von der Grundversicherung übernommen. In den Tarifstrukturverhandlungen müssen die verschiedenen Leistungen zusammen mit den Tarifpartnern definiert und eindeutig beschrieben werden, damit sie in die Tarifstruktur aufgenommen werden können. Es können nur Leistungen aufgenommen / verhandelt werden, welche über die Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) abgebildet sind.
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Alle Angebote, die Physiotherapeut:innen in ihrer Behandlung anbieten, können theoretisch als einzelne Leistung definiert werden: Einzelbehandlungen oder Gruppentherapie, interprofessioneller Austausch mit anderen Leistungserbringern oder das Erstellen eines Trainingsplans für Patient:innen. Üblicherweise werden jedoch Leistungen zu Tarifpositionen zusammengefasst, welche ungefähr die gleichen Kosten verursachen und daher in etwa den gleichen Preis erhalten. Nicht zu den physiotherapeutischen Leistungen gehören Angebote, die ausserhalb der Physiotherapie angeboten werden: Zum Beispiel Personal Training, Pilates, Yoga oder Coaching. Grund: Diese werden nicht über das KVG abgedeckt.
Nachweis der Leistungen
Physioswiss muss die physiotherapeutischen Leistungen datenbasiert nachweisen. Dazu wurde die Datenerhebung «LeDa» durchgeführt, in welcher die Leistungen sowie die Leistungsdauer im physiotherapeutischen Alltag dokumentiert wurden. Dabei wurden die Leistungen erfasst, die heute in den Physiotherapiepraxen erbracht werden.
Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV)
Im Artikel 5 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV 5) werden die physiotherapeutischen Leistungen definiert. Zurzeit sind folgende Leistungen festgehalten:
a. Massnahmen der physiotherapeutischen Untersuchung und der Abklärung
b. Massnahmen der Behandlung, Beratung und Instruktion (…)
c. Physikalische Massnahmen
Wenn die physiotherapeutischen Leistungen definiert sind, wird jeder eine Taxpunktmenge zugewiesen. Die Taxpunktmenge gewichtet die Leistungen untereinander. Das Ziel ist, dass jede Leistung eine kostendeckende Vergütung erhält. Leistungen, die für den Leistungserbringer (Physiotherapeut:in) im Schnitt mehr Kosten verursachen, erhalten dabei mehr Taxpunkte.
Um das geht’s
Die Tarifstruktur im Bereich KVG wird mit den Krankenversicherer-Verbänden curafutura und santésuisse verhandelt. Dabei werden zuerst die physiotherapeutischen Leistungen definiert, die als KVG-Leistung erbracht werden. Dabei muss datengestützt nachgewiesen werden, wie viel Zeit die Physiotherapeut:innen (Leistungserbringer) für welche Leistung aufwenden. Es können nur physiotherapeutische Leistungen in die Tarifstruktur aufgenommen werden, die in der KLV 5 abgebildet sind.
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Damit wir datengestützt arbeiten können, führt Physioswiss regelmässig Studien wie LeDa oder KoDa durch.
Um das geht’s
Wenn eine Tarifstruktur neu verhandelt wird, muss die Einführung dieser Struktur gemäss Krankenversicherungsverordnung (KVV) Art. 59c (Tarifgestaltung) kostenneutral erfolgen. Dies bedeutet, dass durch die neue Tarifstruktur keine Mehrkosten im Gesundheitssystem entstehen dürfen. Das bedeutet ebenfalls, dass die Gesamt- Taxpunktmenge bei einer neuen Tarifstruktur nicht grösser werden darf, sondern nur die bisherige Taxpunktmenge in der neuen Struktur neu verteilt werden kann. Die Gesamt-Taxpunktmenge muss während der Verhandlungen berechnet werden. Auch dazu braucht es die Leistungsdaten aus LeDa. Mit der Information über die Anzahl und Dauer der verschiedenen Behandlungsarten pro Jahr kann berechnet werden, wie viele Taxpunkte in der Physiotherapie pro Jahr generiert werden. Für den neuen Tarif wird ebenfalls berechnet, wie viele Taxpunkte anfallen, wenn die gleichen Leistungen abgerechnet werden. Die beiden Taxpunktmengen müssen gleich gross sein, ansonsten muss die neue Struktur nochmals angepasst (normiert) werden.
Fazit: Eine generelle Preiserhöhung aller physiotherapeutischen Leistungen ist mit einer neuen Tarifstruktur nicht möglich.
Ausnahme der Kostenneutralität in der Tarifstruktur
Eine Ausnahme der Kostenneutralität ist, wenn neue physiotherapeutischen Leistungen gemäss KLV 5 in der Tarifstruktur abgebildet werden. Diese müssen bei der Berechnung der Kostenneutralität nicht berücksichtigt werden. Die Gesamt-Taxpunktmenge kann also erhöht werden, wenn neue Leistungen in die Tarifstruktur aufgenommen werden. Für die aktuellen Verhandlungen können keine «neuen Leistungen» nachgewiesen werden.
Um das geht’s
Bei physiotherapeutischen Leistungen, die neu in der Tarifstruktur erscheinen, müssen zwei Arten unterschieden werden:
- Physiotherapeutische Leistungen, die in der neuen Tarifstruktur eine eigene Tarifposition erhalten.
Diese Leistungen werden von Physiotherapeut:innen bereits mit dem heutigen Tarif erbracht, haben jedoch keine eigene Tarifposition. Die Kosten für diese Leistungen sind in den heutigen Pauschalen mit einberechnet. - physiotherapeutische Leistungen, die in der neuen Tarifstruktur als Leistung gemäss KLV 5 identifiziert sind. Diese Leistungen sind von der Kostenneutralität ausgeschlossen.
Die sind Leistungen, die aktuell (noch) nicht als physiotherapeutische Leistungen gemäss KVG abgerechnet werden können, wie Leistungen in der Sturzprävention o.ä.
Physiotherapeutische Leistungen gem. KLV 5
Wenn eine Leistung als neue physiotherapeutische Leistung identifiziert wird, muss nachgewiesen werden, dass die Leistung evidenzbasiert und WZW-Konform ist (wirksam, zweckmässig, wirtschaftlich). Dazu müssen Untersuchungen (Studien) über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. Erst wenn die Datengrundlage für die neue Leistung in ausreichender Qualität vorhanden ist, kann bei der «Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen» (ELGK) einen Antrag zur Aufnahme in die KLV 5 gestellt werden. Physioswiss ist dabei, allfällige neue Leistungen zu identifizieren und die notwendigen Daten zusammen zu stellen, mit dem Ziel, diese in der KLV 5 abzubilden.
Um das geht’s
Die Tarifstruktur dient der Definition der physiotherapeutischen Leistungen und der Zuordnung von Taxpunkten zu den Leistungen. Bei einer neuen Tarifstruktur wird die Realität besser abgebildet.
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Vorteile einer neuen, aktuellen Tarifstruktur:
- Alle physiotherapeutischen Leistungen werden abgerechnet. Auch Leistungen, die in Abwesenheit der Patient:innen erbracht werden. Zum Beispiel einen Austausch mit anderen Fachpersonen.
- Transparenz: Dadurch, dass die Leistungen einzeln und detailliert abgerechnet werden, ist klar erkennbar, was für wen geleistet wurde.
- Reduktion des Interpretationsspielraums der Versicherungen und damit weniger Rückfragen oder Rückweisungen von Rechnungen.
Wenn die Tarifstruktur revidiert wird, entwickeln die Tarifpartner eine neue Struktur, welche die Leistungen möglichst so abbilden, wie sie in der Praxis erbracht werden. Dadurch können gewisse physiotherapeutische Leistungen neu eine eigene Position erhalten, die vorher nicht separat ausgewiesen worden sind, oder mehrere Positionen können zusammengelegt werden.
Die Entschädigung für die Physiotherapeut:innen darf mit der neuen Tarifstruktur nicht höher ausfallen als mit der alten Tarifstruktur (siehe Kostenneutralität). Sollte dies der Fall sein, wird die Taxpunktmenge der einzelnen Positionen mittels eines Korrekturfaktors so normiert, dass am Ende in beiden Strukturen die gleiche Taxpunktmenge (und damit die gleichen Kosten) anfallen.
Beispiel:
Bei der Einzelbehandlung wir die Anzahl der Taxpunkte gesenkt, dafür wird die physiotherapeutische Leistungen bei Abwesenheit von Patient:innen in die Tarifstruktur aufgenommen (z.B. Austausch mit anderen Fachpersonen).
Um das geht’s
Die Trennung von Preis und Tarifstruktur im KVG-Bereich hat zur Folge, dass die Tarifstruktur und der Taxpunktwert getrennt verhandelt werden. Während die Tarifstruktur der Kostenneutralität unterliegt und nicht zu Mehrkosten führen darf, ist dies bei den Taxpunktwerten nicht der Fall. Die Anpassung des Preises einer physiotherapeutischen Leistung kann daher nur über eine Anpassung des Taxpunktwertes erfolgen.
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Die Vergütung der Leistungen muss betriebswirtschaftlich sein und darf höchstens die nachgewiesenen Kosten decken. Ändern sich die Kosten, muss der Wert der Leistung entsprechend angepasst werden. Dies geschieht durch Taxpunktwertanpassungen. Auch die Taxpunktwerte werden mit den Tarifpartnern verhandelt und müssen datengestützt sein. Dabei wird wiederum berechnet, welche Kosten für die Leistungserbringung anfallen und wie viele Taxpunkte im Durchschnitt eines Jahres mit diesen Leistungen erwirtschaftet werden können. Daraus wird der Taxpunktwert abgeleitet, der für eine kostendeckende Leistungserbringung notwendig ist.
Der Taxpunktwert muss anschliessend von den Behörden genehmigt werden. Bei kantonalen Taxpunktwerten ist die Kantonsregierung zuständig, bei nationalen Taxpunktwerten der Bundesrat. Die Behörden prüfen dabei einerseits die Datengrundlage, die zur Berechnung verwendet wurde. Sie können andererseits aber auch die Tragbarkeit im Gesamtsystem berücksichtigen. Dadurch kann ein Taxpunktwert auch nicht genehmigt werden, obwohl die Kosten nachgewiesen werden können, wenn der neue Taxpunktwert als nicht tragbar eingeschätzt wird.
Fazit: Dies erklärt, warum auch eine gut begründete Taxpunktwerterhöhung nicht zwingend genehmigt wird.
Teuerungsausgleich als einfache Lösung?
Eine Anpassung der Taxpunktwerte an die allgemeine Teuerung erscheint als einfache Lösung, um den Taxpunktwert schnell und unkompliziert an die gestiegenen Kosten anzupassen. Leider ist eine solche Anpassung nicht zulässig. Verschiedene Gerichtsurteile haben bereits festgehalten, dass eine Anpassung allein aufgrund der Teuerung nicht zulässig und damit nicht genehmigungsfähig ist.
Eine Begründung dafür ist, dass eine reine Anpassung aufgrund der Teuerung die Praxis-Realität nicht vollständig widerspiegelt. Der Praxisalltag verändert sich nämlich ständig. So können beispielsweise Leistungen effizienter erbracht oder Prozesse optimiert werden, wodurch die Kosten für die Leistungserbringung weniger stark steigen als die allgemeine Inflation.
Um das geht’s
Die Branche der Physiotherapie ist bereits seit langem unterfinanziert und benötigt daher eine substanzielle Anpassung der Taxpunktwerte. Da seit längerer Zeit keine Preisanpassung erfolgte, ist nun eine starke Anpassung des Taxpunktwertes notwendig, um die aktuellen Kosten zu decken. Dies wird sich aber unweigerlich auf die allgemeinen Gesundheitskosten auswirken, was zu einer Abwehrhaltung der Kostenträger und der Behörden führen wird.
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In der Tarifwelt herrschte lange Zeit Stilltand – nicht nur bei den Physiotherapeut:innen. Die Branche der Physiotherapie ist bereits seit langem unterfinanziert und benötigt daher eine substanzielle Anpassung der Taxpunktwerte.
Eine weitere Schwierigkeit liegt in den gegenseitigen Interessen der Verhandlungspartner:
- Ziel Leistungserbringer: angemessene Entschädigung aller erbrachten Leistungen.
- Ziel Kostenträger: Kostenanstieg verhindern oder möglichst gering zu halten.
Dazu kommen politische Interessen. Denn selbst wenn sich die Verhandlungspartner auf einen neuen, höheren Taxpunkt einigen, muss dieser zusätzlich von den Behörden genehmigt werden. Diese darf dabei auch «übergeordnete Interessen» berücksichtigen. Ist die Behörde der Ansicht, dass eine Taxpunkterhöhung diese Interessen gefährdet oder für das Gesamtsystem nicht tragbar ist, kann sie diese ablehnen. Auch wenn sich die Tarifpartner einig sind und die Kosten nachgewiesen werden können.
Fazit: Hier ist das Engagement aller Beteiligten gefragt. Physioswiss wird zu gegebener Zeit Massnahmen vorschlagen, an denen sich alle Mitglieder beteiligen können.
Glossar
Krankenversicherungsgesetz. Regelt den Wirkungsbereich der obligatorischen Krankenversicherung.
Artikel 5 Krankenpflege-Leistungsverordnung. Dieser regelt, welche Leistungen zu welchen Bedingungen von den Krankenversicherer im Rahmen der Physiotherapie übernommen werden müssen.
Art. 59c Verordnung über die Krankenversicherung: Regelt, ob der Tarifvertrag die Grundsätze der Tarifgestaltung einhält. Darunter fallen die folgenden Punkte: Tarif darf höchstens die ausgewiesenen Kosten der Leistung decken; Tarif darf höchstens die für eine effiziente Leistungserbringung erforderlichen Kosten decken; Ein Wechsel des Tarifmodells darf keine Mehrkosten verursachen.
Taxpunktwert. Legt fest, wie viel ein einzelner Taxpunkt wert ist und definiert somit den Preis der Leistung.
Die Tarifpartner setzen sich aus Vertretern der Krankenversicherer und der Leistungserbringer zusammen. Zurzeit sind dies in der Physiotherapie santésuisse und curafutura, sowie H+ und Physioswiss, welche auch ASPI vertritt.
Die evidenzbasierte Praxis (EBP) hat das Ziel, auf Grundlage klinischer Expertise, der Präferenzen von Patient:innen und den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen klinische Entscheidungen zu treffen.
Wirksamkeit / Zweckmässigkeit / Wirtschaftlichkeit
Anpassen der neuen Tarifstruktur, damit die Taxpunktmenge mit der neuen Struktur diejenige der alten Struktur nicht übersteigt und somit die Kostenneutralität eingehalten werden kann.