Domizilbehandlungen: Interprofessionalität in der Westschweiz weist Defizite auf
Jedes Jahr stürzen in der Schweiz mehr als 290 000 Menschen so schwer, dass sie ärztlich behandelt oder im Spital gepflegt werden müssen. Mehr als 30 Prozent davon betreffen Personen über 65 Jahre. Dem will die Präventionskampagne sichergehen.ch von der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU entgegenwirken.
Text: Olivia Guler
Gerade für ältere Erwachsene können Stürze fatale Folgen haben und eine Negativspirale in Gang setzen: Die Heilung einer Verletzung dauert mit zunehmendem Alter länger; während der Heilungszeit bilden sich die Muskeln zurück, was das Risiko für weitere Stürze erhöht. Diese Entwicklung kann dazu führen, dass Betroffene weniger mobil und weniger selbstständig sind, was am Ende die Lebensqualität einschränken kann. Von den rund 1700 Personen, die jährlich an den Folgen eines Sturzes sterben, sind 90 Prozent Senior:innen.
Wer regelmässig trainiert und damit seine Kraft, sein Gleichgewicht und seine mentale Fitness verbessert, bleibt mobil und kann dem Sturzrisiko entgegenwirken. Die BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung, empfiehlt älteren Erwachsenen ab 55 Jahren, mindestens dreimal pro Woche für mindestens 30 Minuten zu trainieren. Dabei setzt sich das Training aus Gleichgewichts- und Krafttraining in Kombination mit kognitiv-motorischem Training zusammen.
Laut der BFU-Studie «Sturzpräventives Training – Handlungsfelder für eine breitenwirksame Implementation» trainiert mehr als die Hälfte der befragten älteren Erwachsenen mindestens einmal pro Woche sturzpräventiv. Nur 22 Prozent setzen aber die Trainingsempfehlungen vollständig um. Es besteht ein grosses Mobilisierungspotenzial bei denjenigen, welche bereits wöchentlich ihr Gleichgewicht trainieren, die sportlich aktiv sind oder eine starke Absicht äussern, sturzpräventiv zu trainieren (Stocker und Bächli, 2023).
Ob im Turnverein, im Aqua-Fit-Kurs, in der Wandergruppe oder im Gruppentraining bei der Physiotherapie – ältere Menschen nutzen viele verschiedene Sport- und Bewegungsangebote. Die BFU-Studie sieht eine grosse Chance darin, diese Angebote sturzpräventiv zu gestalten. Auf diese Weise würden ältere Menschen in einem für sie geeigneten Angebot automatisch sturzpräventiv trainieren.
Fachpersonen in der Schweizer Gesundheitsversorgung spielen dabei auch eine zentrale Rolle. Egal ob als Ärztin, Physiotherapeut, Ergotherapeutin, Apotheker, Spitex-Mitarbeiterin, Pflegender, nicht-medizinische Fachperson oder Freiwillige bei Organisationen wie Pro Senectute oder dem Schweizerischen Roten Kreuz: Alle haben direkten und persönlichen Kontakt mit sturzgefährdeten Personen. Fachpersonen können ein erhöhtes Sturzrisiko ansprechen und bei Bedarf Betroffene sensibilisieren und mit konkreten Massnahmen das Sturzrisiko reduzieren.
Eva Fuchsberger kennt die Folgen von Stürzen. Sie ist Physiotherapeutin und Vorstandsmitglied des Regionalverbandes Physioswiss St. Gallen-Appenzell. «Wir haben oft Fälle, bei denen Patient:innen beispielsweise mit Schulter- oder Wirbelsäulendiagnosen zu uns in die Praxis kommen. Im Verlauf der Anamnese bemerken wir oft, dass Sturzgefährdung auch ein grosses Thema ist, bzw. die Patient:innen bereits ein- oder mehrmals gestürzt sind und eine umfassende Sturzgeschichte haben. Solche Nebendiagnosen sind für die angemessene Behandlung enorm wichtig.» Bei solchen Diagnosen ist es wichtig, dass eine gute physiotherapeutische Abklärung mit den Assessments von StoppSturz folgt. Denn das A und O ist die massgeschneiderte Behandlung der Patient:innen.
Sie ist Physiotherapeutin MAS und Vorstandsmitglied des Regionalverbandes Physioswiss St. Gallen-Appenzell.
Bild: © zVg
Eine gezielte physiotherapeutische Behandlung sei aber noch nicht alles. «Um weitere Stürze zu vermeiden, braucht es Anschluss-Lösungen», meint Fuchsberger. Als Präventionsmassnahme hat die erfahrene Physiotherapeutin Gruppentherapien entwickelt und zum Angebot gemacht. Um dieser Spezialisierung mehr Gewicht zu geben, hat sie sichergestellt, dass der Gruppenkurs von Physioswiss den Kriterien für sturzpräventives Training entspricht. Damit könne sie ihr Angebot positionieren und erhalte mit ihrem Auftritt auf der Online-Plattform sichergehen.ch mehr Sichtbarkeit. Kurse mit Qualitätslabel können kostenlos auf sichergehen.ch angeboten und über die standortbasierte Suche (PLZ) gefunden werden.
Die BFU, Pro Senectute Schweiz und Gesundheitsförderung Schweiz haben sich gemeinsam mit weiteren Partnern (u.a. Physioswiss) zum Ziel gesetzt, ältere Erwachsene mit einer landesweiten Präventionskampagne für ein regelmässiges Training zu begeistern. Im nächsten Jahr sind die Stehaufmännchen der Präventionskampagne über verschiedene Zeitetappen auf verschiedenen Kanälen zu sehen. In der Kampagne zeigen sie, was das Training zu Hause oder gemeinsam in Kursen bewirken kann: einen gestärkten Gleichgewichtssinn, mehr Beinkraft und mentale Fitness. Herzstück der Kampagne ist die Internetplattform sichergehen.ch: Hier finden ältere Erwachsene zahlreiche Kurse in der ganzen Schweiz. Für das Training zu Hause hält die Website leicht verständliche Übungen in verschiedenen Schwierigkeitsstufen bereit – für Personen mit guter Fitness, aber auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Mit dem Online-Selbsttest kann zudem das geeignete Trainingsniveau bestimmt werden. Am Ende erhalten Interessierte eine Einschätzung der persönlichen Fitness und ein individuelles Trainingsprogramm für das Training zu Hause. Auf sichergehen.ch/medien stehen Bildmaterial, Textbausteine und Inseratevorlagen zum Download zur Verfügung.
Sie ist Kampagnenleiterin bei der BFU und führt die Kampagne sichergehen.ch.
Bild: © BFU
Stocker E., Bächli M., Sturzpräventives Training: Handlungsfelder für eine breitenwirksame Implementation. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. Forschung 2.503. DOI: 10.13100/BFU.2.503.01.2023