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Steigende Gesundheitskosten – Physiotherapie floriert..

Schreiben 2

Am Dienstag 15. August brachte Radio SRF im „Echo der Zeit“ einen Beitrag über steigende Kosten in der Physiotherapie. Darin wird von Seiten der Krankenkassen (KK) eine enorme Kostensteigerung bei der Physiotherapie moniert und es werden diverse Forderungen gestellt. Der Beitrag darf in dieser Form nicht unwidersprochen bleiben, daher hier einige Ergänzungen zu den Aussagen im Beitrag. Der Link dazu ist www.srf.ch/news/schweiz/physiotherapie-floriert-und-kostet

Aussage im Beitrag: 2016 waren es (=Kosten der Physiotherapie) schon 940 Millionen, 50 Prozent mehr (=gegenüber 2011).

Tatsache ist, dass die Kosten gestiegen sind, jedoch in ähnlichem Rahmen wie in anderen Bereichen. Der Anteil der PT an den Gesamtkosten beträgt konstant etwa 3%. Übrigens beträgt der Anteil Verwaltungskosten der KK konstant etwa 5% des Prämienvolumens, ist also ebenfalls markant angestiegen…

Aussage im Beitrag: Die Gründe dafür sind vielschichtig. Es leben mehr und auch mehr ältere Menschen in der Schweiz.

Die Gründe sind vielschichtig, sie werden aber nicht genannt, daher ein paar der Gründe: Verlagerung von stationär zu ambulant durch Einführung der DRG (im Jahr 2012… ist der Vergleich mit 2011 wohl zufällig gewählt?). Enorme Zunahme der elektiven orthopädischen Eingriffe, insbesondere Knie- und Hüftprothesen. Diese Patient:innen benötigen nach der OP oft Physiotherapie. Deutliche Reduktion der Kuraufenthalte nach Operationen durch verweigerte Kostengutsprachen, dadurch kommen die Patient:innen vermehrt in die ambulante Therapie (das betrifft übrigens auch die Spitex…). Verbesserte Überlebensraten nach Hirnschlag oder Herzinfarkt. Auch diese Patient:innen benötigen Physiotherapie, oft ambulant, da stationäre Rehabilitation reduziert wird.

Aussage im Beitrag: Innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl der Therapiepraxen um 20 Prozent gestiegen

Tatsache ist, dass niemand genau weiss, wie die Entwicklung der Praxen ist, auch santésuisse nicht. Es stimmt, dass die Anzahl registrierter Therapeut:innen zugenommen hat. Nur weiss niemand, wie viel diese arbeiten. Physiotherapie ist (immer noch) mehrheitlich ein Frauenberuf und viele arbeiten Teilzeit (was aus gesellschaftlicher Sicht erwünscht ist). Kurze Rechnung dazu: Wenn ein Drittel der Physios zwischen 30 und 50% arbeitet, braucht es mindestens 35% mehr arbeitende Physios. Zudem ist die Zahl der Praxen ein ziemlich unklarer Faktor: Der Trend geht zu grösseren Praxen oder Einzelpraxen – und die absolute Anzahl spielt daher kaum eine Rolle. Wesentlich wäre zu wissen, wie viele Physios arbeiten und wie viele Patient:innen sie behandeln.

Aussage im Beitrag: Sie wollen, dass ihre Geräte ausgelastet werden. Damit befeuern sie das Mengenwachstum.

Tatsache ist, dass die Auslastung der Geräte keinen Einfluss auf die Einnahmen hat. Der Tarif sieht eine pauschale Entschädigung pro Sitzung vor (im Kanton Bern aktuell Fr. 49.44), egal ob der:die Therapeut:in Geräte zum Training und den Ultraschall einsetzt oder ob sie rein manuell behandelt. Wirtschaftlich gesehen wäre es daher effizienter, gar keine Geräte zu haben. Die meisten Physios sind aber eben nicht Manager und haben nicht Gewinnmaximierung als Ziel, sondern eine gute Therapie für die Patient:innen und sinnvolle Arbeitsbedingungen für sich selber.

Aussage im Beitrag: Die Zahl der Konsultationen pro Physiotherapeut:in ist um 37 Prozent gestiegen.

Woher diese Zahl stammt, ist völlig unklar. Wie oben erwähnt ist die Anzahl der PT’s nicht genau bekannt und noch weniger ihre genaue Tätigkeit. Tatsache ist, dass viele Physios seit Jahren im Halbstundenrhythmus während 7, 8 oder 9 Stunden täglich behandeln und gar keine Möglichkeit haben, eine solche Steigerung zu erzielen. Allerdings haben im Zuge der Tarifstreitigkeiten der letzten 10(!) Jahre einige PT’s auf den 20-Minuten-Rhythmus umgestellt und das ergibt dann natürlich eine klare Zunahme. Allerdings funktioniert dies nur bei perfekter Organisation der Praxis, genügend Hilfspersonal und auch nur bei bestimmten Patient:innen. Es gibt Fälle, wo der:die Patient:in schon 10 Minuten braucht, bis er:sie in Seitenlage auf der Liege ist…

Aussage im Beitrag: Jetzt sind die Tarife erneut in Revision.

Tatsache ist, dass die Tarife seit rund 10 Jahren zur Debatte stehen. In dieser Zeit haben die KK (und zwar beide Verbände) alle Bemühungen um eine Einigung ins Leere laufen lassen und sich gegen (fast) jede Anpassung gestellt. Aktuell ist der Tarif daher nicht „in Revision“, sondern es läuft eine Festsetzung durch den Bundesrat, weil sich die Tarifpartner nicht einigen konnten. Wie übrigens auch bei den Ärzt:innen, wo gerade heute (16. August) die Festsetzung verkündet wurde. Nicht gerade ein gutes Zeichen, wenn es den KK mehrfach nicht gelingt Verträge auszuhandeln, wie es das KVG vorsieht.

In dieser Art liesse sich fast zu jedem Satz im Beitrag etwas ergänzen. Die grosse Frage zum Schluss bleibt, warum die KK genau jetzt mit dem Thema an die Öffentlichkeit gelangt sind: Hat die Medienstelle nach den Ferien gerade etwas wenig Arbeit gehabt? Wollen sie die Bevölkerung auf die Prämienrunde vom September vorbereiten und schon mal die „Schuldigen“ ins Rampenlicht stellen? Oder fürchten sie eine Festsetzung durch den Bundesrat für eine faire Entschädigung der Physiotherapie? Wir werden es nie erfahren, halten aber die Augen und Ohren offen was da noch kommen wird…

Gere Luder, Vorstand Physiobern

PS: Dieser Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

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